„You don’t fight fire with fire. You fight fire with water. We’re gonna fight racism with solidarity. We’re not gonna fight capitalism with Black capitalism. We’re gonna fight capitalism with socialism. Socialism is the people. If you’re afraid of socialism, you’re afraid of yourself.“*
Wir veröffentlichen den Bericht eines Bleiberecht-Sympatisanten, der aktuell in Italien aktiv ist. Der Bericht zeigt unter anderem auf, warum es nach wie vor entscheidend ist, in der Schweiz gegen jede (Dublin-)Ausschaffung nach Italien anzukämpfen. Das Asylregime töten, auch in Italien.
Am 12. April 2017 hat das italienische Parlament der Verordnung Minniti-Orlando über die Migration zugestimmt. Die Verordnung der Innen- und Justizminister Italiens Marco Minniti und Andrea Orlando verwandelt sich somit zur Grundlage eines neuen Gesetzes. Es geht dabei um „dringliche Vorschriften für die Beschleunigung der Verfahren bezüglich der internazionalen Sicherheit, sowie Massnahmen gegen die illegale Migration“. Laut den Ministern wurde die Verordnung entwickelt, um die Rekursverfahren von Asylsuchenden zu beschleunigen. Dies sei nötig, weil sich diese Rekurse in den letzten Jahren angehäuft und die Arbeit der Richter verkompliziert hätten. Zudem geht es der Regierung offiziell auch darum, die Zahl der Ausschaffungen zu erhöhen.
Angriffe auf die Rechte der Migrant*innen
Die Verordnung sieht im Migrationsbereich vier wesentliche Veränderungen vor.
Für Geflüchtete, deren Gesuch abgelehnt wird, wird erstens das Recht auf gerichtliche Anhörung beim einem erstinstanzlichen Rekurs, sowie zweitens das Rekursrecht in zweiter Instanz abgeschafft. Die erstinstanzliche Anhörung wird durch ein Prozedere ersetzt, bei dem das Gericht die Videoaufnahmen der Asylersthanhörung bei der komunalen Kommission visioniert. Auf dieser Grundlage wird eine Schlussentscheidung getroffen. Im Rekursverfahren besteht fortan weder die Möglichkeit, die eigenen Positionen zu verteidigen, noch kann das Gericht Nachfragen stellen. Für geflüchtete Migrant*innen stellen die Verschärfungen des Rekursrechts massive Grundrechtsverletzungen dar. Menschenrechtsorganisationen und linke Kollektive kritisieren diese als verfassungswidrig.
Drittens schafft die Verordnung die Grundlage für den Bau neuer Ausschaffungsgefängnisse. Das Netz der aktuell vier grossen Ausschaffungsgefängnissen (Cie, centri d’identificazione e d’espulsione) wird auf 20 Rückschaffungszentren (Cpr, centri permanenti di rimpatrio) aufgestockt. Ziel ist es, pro Region ein Ausschaffungszentrum zu eröffnen. Insgesamt sollen 1600 Ausschaffungshaftplätze entstehen. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen äusserten sich besorgt zu den geplanten grossen Ausschaffungszentren. Innenminister Minniti sicherte ihnen zu, dass pro Zentrum maximal 100 Personen untergebracht würden. Die Standorte der Zentren befinden sich ausserhalb der Städte und in der Nähe der jeweiligen Flughäfen. Diese neuen Ausschaffungszentren reihen sich in eine allgemeine Tendenz ein, in der die Unterbringung von geflüchteten Migrant*innen so gestaltet wird, dass die Behörden bei Negativentscheiden eine schnelle Ausschaffung vollziehen können.
Viertens sieht die neue Praxis die Einführung von Freiwilligenarbeit Geflüchtete vor: Die zuständigen Behörden können nach Absprache mit den betroffenen Gemeinden gemeinnützliche Arbeitsprogramme entwickeln, um die Freiwilligenarbeit von Geflüchteten zu fördern. Diese werden im zweiten Arbeitsmarkt angesiedelt und von EU-Geldern finanziert. Die Einführung von Freiwilligenarbeit im Asylbereich und die Schaffung eines zweiten Arbeitsmarktes ist für deutschsprachige Lesende nichts Neues.
Repression auf den Strassen der Metropolen
Die neue Verordnung Minniti-Orlando eröffnet zudem die Möglichkeiten, im Namen der öffentlichen Sicherheit und des Kampfes gegen den „urbanen Zerfall“ Razzien durchzuführen und Bussen zu erteillen. Die Spannbreite geht von Verbot, neben öffentlichen Gebäuden (beispielsweise Museen) auf der Strasse sein Sandwich zu verspeisen, bis hin zu Repression bzw. regelrechten Säuberungsaktionen gegen die mehrheitlich migrantischen Strassenverkäufer*innen.
In Milano kam es kurz nach der parlamentarischen Annahme der Verordnung am 2. Mai zu einer Razzia beim Hauptbahnhof. Ein massives Aufgebot von Polizist*innen trennte migrantisch von europäisch aussehenden Personen. Erstere wurden einer pedantischen Personenkontrolle unterzogen und in grossen Polizeibussen auf den Posten abtransportiert. Dass es sich dabei um „racial profiling“ handelt, bestreitet niemand. Ein Aktivist, der sich per Zufall am Bahnhof befand, berichtet: „Blonde und hellhäutige konnten unbesorgt vorbeilaufen, hingegen wurden dunkelhäutige für mindestens 20 Minuten aufgehalten. Kurzum, Szenen einer ethnischen Säuberung!“
Am 3. Mai kam es in Rom (Trastevere) bei einer ähnlichen Razzia zu einem Todesfall. Auf einer dicht begannen Strasse kontrollierte die Polizei Strassenhändler*innen. Hierfür marschierte sie in Kampfmontour auf und blockierte die Strasse. Bei den kontrollierten Menschen handelte es sich mehrhheitlich um Westafrikaner. Nian Maguette, einer unter ihnen, starb, als die Polizei begann, die Strassenhändler*Innen zu jagen und mit Schlagstöcken zu schlagen. Der 54-jähriger Senegalese lebte seit Jahrzehnten in Italien verfügte über eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung. Er hatte einen Job in Rom und ernährte mit dem Einkommen seine Familie in Senegal. Er fiel zu Boden und noch vor Ort auf der Strasse. Die Polizei spricht offiziell von einem „natürlichen Tod“. Es ist aber mehr als klar, dass die Polizei Nian getötet hat. Die verschärfte Migrationsgesetze und die rassistische Verordnung von Minniti-Orlando nehmen tödliche Polizeigewalt in Kauf.
Dass die Repression weiter zunimmt, zeigt sich auch in anderen Grossstädten Italiens. In Napoli haben sich die massiven Polizeieinsätze gegen migrantische Strassenverkäufer*innen gehäuft und gehören mittlerweile zum traurigen Alltag.
Rassismus mit Solidarität bekämpfen
Die Verordnung Minniti verstärkt bereits bestehende sicherheitspolitische Trends. Zudem werden polizeiliche Strassenaktionen vermehrt dafür benutzt, um die Verschärfungen des Migrationsregime in der Bevölkerung konsensfähiger zu machen. Um die öffentliche Meinung hinsichtlich der vorherrschenden Politik zu manipulieren, fokussiert die Politik stark auf die Ebene der medialen Kommunikation. So erhält die Darstellung dieser Meldungen oft den Charakter einer Vermischtenmeldung, gesellschaftspolitische Hintergründe werden absichtlich ignoriert.
Die Migrant*innen sind aber keine Opfer, die alles hinnehmen. In Rom hat die senegalesische Community zu einer grosser Demonstration zum Tod von Nian aufgerufen. Zahlreiche weitere Communities und linke Gruppen haben daran teilgenommen. An der Demo wurde „Wahrheit und Gerechtigkeit für Nian“ skandiert und der sofortige Stopp der Strassenrazzien gefordert. Es ging um die Organisierung des Widerstandes gegen Polizeigewalt, die sich gegen arbeitende Migrant*innen richtet. Ebenfalls kritisiert wurde die Politik, welche den Tod von geflüchteten Migrant*innen – ob beim Druchqueren des Mittelmeeres oder auf der Strasse der Grossstädte – banalisiert und dazu benutzt, um noch schärfere Gesetze zu verabschieden. Nicht nur in Rom, sondern auch in Milano, in Napoli und in anderen Städten Italiens gingen migrantischen Communities auf die Strasse und kritisierten den immer schärfer werdenden Staatsrassismus.
Dass Migrant*innen die Protagonist*innen dieser Mobilisierungen waren, stellt eine wichtige Grundlage für die politische Zusammenarbeit zwischen den migrantischen Organisationen und Gruppen, Kollektive und Organisationen von italienischen Arbeiter*innen dar. Im Rahmen solch solidarischer Kämpfe gegen den alltäglichen Rassismus lassen sich auch gemeinsamen Schritte im Kampf um den Zugang zu Aufenthaltsbewilligungen, Gesundheitsleistungen und Bildung, sowie gegen Schwarz- und für rechtlich geschützte Arbeit gehen.
* Zitat von Fred Hampton, Aktivist der Black Panther Party. Er wurde bei einem vorgeblichen Festnahmeversuch der Polizei in seiner Wohnung in der Nacht des 4. Dezembers 1969 im Schlaf erschossen.