15. Februar 2017

NACH SECHS JAHREN AUSSCHAFFUNGSGEFAHR: GROSSER TEILERFOLG FÜR O., DER AUFGRUND SEINER HOMOSEXUALITÄT AUS NIGERIA FLÜCHTEN MUSSTE

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) anerkennt die Flüchtlingseigenschaften O.s. aus Nigeria, der aufgrund seines Schwulseins flüchten musste. O. ist somit nicht mehr in Gefahr, abgeschoben zu werden. Er erhält eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung F. Diese Anerkennung kommt allerdings sehr spät: Sie kommt nach sechs vergeudeten Lebensjahren im Asylregime, zwei abgelehnten Asylgesuchen und einer Niederlage vor Bundesverwaltungsgericht, 10 Wochen in Ausschaffungshaft, einem Jahr Eingrenzung im Kanton Freiburg und nach zwei Vorladungen vor nigerianische Delegationen zwecks Ausschaffung. „Sie hatten mich schon fast ausgeschafft. Nun glauben mir die Behörden endlich. Das verdanke ich den Menschen, die sich solidarisierten und sich mit mir wehrten“, sagt O.

Das SEM beurteilte O.s Fluchtgeschichte als „unglaubwürdig“. Zudem könne er laut SEM nach einer Ausschaffung seine sexuelle Orientierung in Nigeria auch „diskret ausleben“. Die drohende Ausschaffung O.s nach Nigeria löste eine breite Protestwelle aus, die von Gruppen, aber auch Einzelpersonen und Kunstschaffenden getragen wurden: In den letzten Jahren kam es vor den Ausschaffungsgefängnissen, vor dem SEM, vor der nigerianischen Botschaft und in der berner Innenstadt zu zahlreichen Protestaktionen und Demonstrationen. Etablierte NGOs, darunter Pink Crosshumanrights.chsarigay und Amnesty International verfassten kritische Stellungnahmen zuhanden der Behörden und Medienschaffende berichteten regelmässig über den Widerstand.
„Der Widerstand hat sich gelohnt“, sagt das Bleiberecht-Kollektiv Bern, „O. ist endlich vor Ausschaffung geschützt und das SEM verzichtet seither darauf, abgewiesene LGBTI-Flüchtende mit dem Hinweis auszuschaffen, dass diese ihre sexuelle Orientierung in homophoben Herkunftsländern einfach „diskret ausleben“ sollen.

Warum das SEM O. endlich glaubt
Aufgrund des Drucks der Solidaritätsbewegung hat das SEM in Nigeria Recherchen angeordnet. So reiste ein Vertrauensanwalt der schweizer Botschaft in O.s Heimatdorf, wo er 2005 von einem homophoben Mob beinahe umgebracht worden wäre. Der anschliessende Bericht der Botschaft macht deutlich, dass O. unter Lebensgefahr aus dem Dorf flüchten musste und nicht mehr zurück kann. Die Botschaft in Nigeria befragte zudem diverse Expert_innen bezüglich der Lage von LGBTI-Menschen und informierte sich über mögliche Gefahren, welche O. im Falle einer Ausschaffung drohen würden (vgl. auch Medienmitteilung zum Botschaftsbericht). Alle Geflüchteten verdienen eine solche Recherche zu ihrer Fluchtgeschichte, gemacht wird es nur in seltensten Fällen.

Vorläufige Aufnahme statt Flüchtlingsstatus
Obwohl O. gemäss SEM sämtliche Flüchtlingseigenschaften erfüllt, erhält er kein Asyl (Ausweis B). Das SEM behauptet, O. stelle eine Gefahr für die Schweiz und ihre Bewohner_innen dar und sei daher „asylunwürdig“ (vgl Art. 53 AsylG). Dies, weil er 2012 wegen eines Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt wurde und ein Jahr im Gefängnis sass.
Als O. im damaligen Winter vor einer nigerianischen Delegation zwecks Prüfung der Staatsangehörigkeit erscheinen sollte, tauchte er aus Angst vor einer Ausschaffung in Genf unter. Dort kannte er niemanden. Nach vier Nächten in der eisigen Kälte traf er auf einen Mann, der ihm ein Zimmer anbot. Rasch setzte er O. massiv unter Druck: O. musste für ihn „Plastikbehälter sortieren“. Wenn er dies nicht mache, drohte er O., lande er erneut auf den kalten Strassen. In Wahrheit handelte sich um abgepacktes Kokain. Im Rahmen einer Razzia wurde das Kokain mit seinen Fingerabdrücken gefunden. O. wurde deshalb verhaftet und verurteilt. Tatsache ist: Wenn die Behörden O. von Anfang geglaubt hätten, wäre es nicht soweit gekommen. O. hatte vor und nach diesem Vorfall nie etwas mit Drogenhandel zu tun gehabt.

Der Kampf um Gerechtigkeit geht weiter
Obwohl er seine Strafe abgesessen hat, verfolgt ihn diese Zeit weiter. Für das SEM bleibt O. eine Gefahr für die Öffentlichkeit. Die Solidaritätswelle und das öffentliche Interesse für O. widersprechen freilich dieser Beurteilung. O. erachtet den Entscheid als unverhältnismässig und denkt über einen Rekurs nach. Das Bleiberecht-Kollektiv und die Solidaritätsgruppe Liberty for O. starten eine Petition, die dem SEM erklärt, dass O. keine Gefahr für die Schweiz darstelle.

Argumente und Überlegungen des Bleibrecht-Kollektivs Bern und der Solidaritätsgruppe Liberty for O.:

  • Der Schutz für Geflüchtete insbesondere für LGBTI-Menschen ist nicht per se gegeben: Ohne Solidarität und Unterstützung ist es für Geflüchtete schwer möglich, gegen die Entrechtung durch das Asylregime anzukämpfen, um ein Bleiberecht zu erhalten.
  • Nach jahrelangem Warten geben die Behörden durch ihren Entscheid zu, dass sie vor sechs Jahren falsch entschieden haben. Das SEM begründet seinen Entscheid jedoch taktisch. O’s unermüdlicher Widerstand, die Unterstützer_innenkampagne und die Solidarität mit O. werden mit keinem Wort erwähnt.
  • Wir bestreiten, dass O. eine Gefährdung für die schweizerische Bevölkerung darstellt. Nachdem O. für seine anscheinend widerrechtliche Handlung in Haft war, soll er nochmals bestraft werden, indem er anstelle des Asyls (B-Ausweis) eine vorläufige Aufnahme (F-Ausweis) mit eingeschränkten Rechte erhält. Die ist eine doppelte und unbefristete Bestrafung.
  • Durch Illegalisierung drängt das System Menschen wie O. dazu, innerhalb der Schweiz vor der Verfolgung durch die Schweiz zu fliehen. Nach dieser Inlandflucht geraten Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit in gesetzeswidrige Situationen.

Das Bleiberecht-Kollektiv Bern und die Solidaritätsgruppe Liberty for O. rufen alle auf, O. in diesem hoffentlich letzten Abschnitt seines Widerstands zu unterstützen und alles zu unternehmen, damit es den Behörden nicht so leicht gemacht wird, Geflüchtete während Jahren zu entrechten und ihnen das Bleiberecht zu verwehren.